Schweizer Revue 4/2025

lich», sagt Stefan Müller-Altermatt, Vater eines Buben aus Armenien und Mitte-Nationalrat. Vollständige Dokumente und Transparenz seien heute zwingend. Direktbetroffene wehren sich dagegen, stigmatisiert zu werden. Adoptivkindern werde signalisiert, dass sie eigentlich nicht hier sein sollten. Adoptiveltern werde unterstellt, etwas Verwerfliches getan zu haben. Das sei ungerecht und entspreche nicht der Realität. Ein Verbot werde vor allem Wunsch nun eher im Ausland erfüllen. Hinterfragt wurde dies kaum. So heisst es in einem Expertenbericht: «Ähnlich wie heute beim Thema der Reproduktionsmedizin gab es die gesellschaftlich akzeptierte Haltung, dass Adoptiveltern vom Grundsatz her ein Recht auf ein Kind hatten.» Dieses Eigeninteresse liess sich mit dem bereits erwähnten Wohltätigkeitsgedanken legitimieren. Der Bund und die Kantone stünden nun in der Verantwortung, sagt Sarah Ineichen. «Sie haben den Handel mit Babys über Jahrzehnte toleriert und gar ermöglicht.» Sie hätten die Kinder und deren leibliche Familien zu wenig vor Ausbeutung geschützt. ­ Unter den Folgen habe nun eine ganze Generation adoptierter Menschen zu leiden. «Wir erwarten eine Entschuldigung für das erfahrene Unrecht und eine zielgerichtete Unterstützung bei den Nachforschungen unserer Herkunft.» Um gefälschte Dokumente aufzuklären, seien beispielsweise DNA-Tests in den Herkunftsländern notwendig. Betroffene müssen mit Leerstellen leben Zu den ersten Lebenswochen unsichere, nebulöse oder sich als falsch entpuppende Informationen zu entdecken, sei äusserst belastend, sagt Andrea Abraham. Betroffene müssten mit Lücken in ihrer Biografie leben, was sich auf ihr Verständnis von Identität und Zugehörigkeit auswirke. «In der Schweiz leben Tausende Erwachsene, die bis heute Fragen haben.» Der Bundesrat möchte internationale Adoptionen verbieten. «Anders lassen sich missbräuchliche Praktiken nicht vollständig verhindern», argumentiert Justizminister Beat Jans. Die Vorgänge in den Herkunftsstaaten zu kontrollieren, sei äusserst schwierig und aufwendig. Zwar seien – unter anderem mit dem Haager Adoptionsübereinkommen 2003 – bereits bedeutende Fortschritte erzielt worden. Dennoch stosse das System an Grenzen. Bis Ende 2026 will der Bundesrat seine Pläne konkretisieren. Ein Verbot könnte dann frühestens auf 2030 in Kraft treten. Direktbetroffene widersprechen dem Bundesrat vehement. EVP-Nationalrat Nik Gugger ist als Kleinkind aus Indien adoptiert worden und sagt: «Ohne Auslandsadoption wäre Nik Gugger wehrt sich gegen zu strikte Einschränkungen. In Indien geboren und von Schweizer Eltern adoptiert spricht er von Glück: Er sei dank der Adoption «in einer liebevollen Familie aufgewachsen». Foto Keystone ich wohl nie in einer liebevollen Familie aufgewachsen.» Um ein generelles Verbot zu verhindern, lancierte er eine Petition und trug innerhalb eines Monats über 10 000 Unterschriften zusammen. Mit dem Haager Abkommen seien bereits griffige Schutzvorschriften eingeführt worden, sagt Gugger. Daneben sollten hohe Anforderungen an die Herkunftsländer gestellt und eine kompetente Begleitung in der Schweiz gewährleistet werden. «Die Praktiken von einst sind nicht mehr mögWaisen und ausgesetzte Kinder hart treffen, warnen sie. Für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer soll sich mit der Reform nichts ändern. «Sie können weiterhin nach dem Recht ihres Wohnsitzes adoptieren», sagt Joëlle Schickel-Küng vom Bundesamt für Justiz. Eine ausländische Adoption werde in der Schweiz grundsätzlich anerkannt, wenn sie im Staat des Wohnsitzes der adoptierenden Person erfolgt sei. Schweizer Revue / Oktober 2025 / Nr.4 15

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