Schweizer Revue 4/2025

Schweiz stimmt über einen Bürgerdienst für alle ab Heute müssen alle jungen Schweizer Männer Militär- oder Zivildienst leisten. Eine Initiative will diese Pflicht breiter definieren – und als gemeinnützigen «Service citoyen» auf alle Bürgerinnen und Bürger ausdehnen. THEODORA PETER In einer Welt voller Krisen und Katastrophen sollten alle Menschen im Lande Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Dafür plädieren die Urheberinnen und Urheber der Initiative «Für eine engagierte Schweiz» (Service-citoyen-Initiative). Hinter dem Vorschlag steht ein überparteiliches Komitee, das sich für ein «Milizsystem mit Zukunft» einsetzt. Die Initiantinnen und Initianten wollen die in der Verfassung verankerte Wehrpflicht breiter definieren: Demnach «leistet jede Person mit Schweizer Bürgerrecht einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt», wie es im Initiativtext heisst. Der «Service citoyen» soll auch Einwohnerinnen und Einwohnern ohne Schweizer Pass offenstehen. schen. Diese Aufgaben übernehmen heute Zivildienstleistende, Freiwillige oder Familienangehörige. «Wir wollen das zivilgesellschaftliche Engagement stärken», sagt Kampagnenleiterin Noémie Roten (36). Damit einhergehen soll auch mehr Anerkennung für Freiwilligenarbeit. «Junge Frauen sehen nicht ein, dass sie ein unbezahltes Praktikum in einer Sozialeinrichtung machen sollen, während ihr Kollege als Zivildienstleistender dafür Sold vom Staat erhält.» Mit einem Milizdienst würden Frauen und Männer gleichgestellt, auch was die Entschädigung betrifft. Ablehnung von links und rechts Im Parlament stiess die Initiative auf wenig Gegenliebe. Einzig die Grünliberalen sprachen sich dafür aus. Die Linke hingegen sieht darin kein Gleichberechtigungsprojekt, sondern kritisiert, dass Frauen zu einem «allgemeinen Zwangsdienst» verpflichtet würden. Ein staatlich verordneter Bürgerdienst sei der falsche Weg, um soziales Engagement zu stärken. Politiker aus dem rechten Spektrum befürchten eine Schwächung des Militärs und lehnen die Initiative aus diesem Grund ab. «Wir sind keine armeefeindliche Truppe», entgegnet Noémie Roten, die nach der Matura selber Militärdienst leistete und dabei Armee-Lastwagen chauffierte. Nach wie vor seien viele junge Menschen motiviert, den klassischen Dienst an der Waffe zu leisten, ist Roten überzeugt. Auch garantiere der Initiativtext den Sollbestand von Armee und Zivilschutz. «Um die Sicherheit zu verstärken, braucht es ein Zusammenspiel zwischen Armee und Zivilbevölkerung». Ein Milizdienst würde junge Menschen aus verschiedenen Regionen und Lebensumständen zusammenbringen. Davon verspricht sich Roten mehr «Solidarität, Verantwortung und Zusammenhalt jenseits von Sprach- und sozialen Grenzen». Die Initiantinnen und Initianten setzen nun darauf, am 30. November das Stimmvolk und die Kantone von ihrer Vision zu überzeugen. Optimismus schöpfen sie aus Befunden der ETH Zürich, die jährlich das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung untersucht. In der jüngsten Studie 2025 befürworteten zwei Drittel die generelle Einführung eines allgemeinen obligatorischen Bürgerdienstes für Frauen und Männer wie auch ein Modell, das eine freie Wahl zwischen Militär-, Zivil- oder Sozialdienst vorsieht. Aktuelle Abstimmungsumfragen lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Angesichts der breiten Nein-Front steht dem Komitee, das über wenig Mittel verfügt, ein schwieriger Abstimmungskampf bevor. Der Rückblick auf die Volksabstimmungen vom 28. September 2025 folgt in der nächsten Revue. Die Abstimmungen vom 30. November im Überblick Service citoyen: Die Initiative «Für eine engagierte Schweiz» verlangt, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen Einsatz zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt leistet – sei es im Militär oder in einem zivilen Bereich (siehe Haupttext). Nationale Erbschaftssteuer: Die Initiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert» will Erbschaften und Schenkungen ab der Höhe von 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuern. Das Geld soll in den Klimaschutz fliessen (siehe Seiten 20–21). «Um die Sicherheit zu verstärken, braucht es ein Zusammenspiel zwischen Armee und Zivilbevölkerung» Noémie Roten, Co-Initiantin der Service-citoyen-Initiative. Der Bürgerdienst könnte entweder als klassischer Militärdienst oder in Form eines gleichwertigen «Milizdienstes» erbracht werden. Gemeint sind Einsätze für die Katastrophenvorsorge, die Ernährungssicherheit oder bei der Betreuung von MenSchweizer Revue / Oktober 2025 / Nr.4 22 Politik

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