Schweizer Revue 4/2025

ansteigen. Permafrost, der die Berge wie ein Kitt zusammenhält, findet sich oberhalb von 2500 Metern. Höhere Temperaturen führen dazu, dass Geröll ins Rutschen gerät, Schmelzwasser in tiefe Schichten dringt und die Erosion verstärkt. Auch Starkregen ein wachsendes Risiko Der Klimawandel birgt noch weitere Naturgefahren – nebst zunehmender Trockenheit sind dies häufigere Starkregen: Wärmere Luft kann mehr Wasser aufnehmen. Die grossen Regenmengen in kurzer Zeit haben in Bergtälern aufgrund der Topografie fatale Folgen. Dies zeigte sich im Sommer 2024 im Tessin: Sturzbäche rissen im oberen Maggiatal Häuser, Strassen und Brücken weg. Acht Menschen kamen ums Leben. Die Behörden weiteten danach die Gefahrenzonen aus: Mehrere Häuser in Gewässernähe dürfen nun nicht mehr bewohnt werden. Auch andere Kantone überprüfen ihre Wäre die Gefahrenkarte darauf ausgelegt, «müssten wir die ganze Schweiz umsiedeln». Unsichere Zukunft in Brienz Das Szenario einer Umsiedlung trifft möglicherweise ein anderes Schweizer Bergdorf: Im bündnerischen Brienz ist der Hang oberhalb des Dorfs schon länger in Bewegung geraten («Revue» 5/2023). Im November 2024 mussten die 90 Bewohnerinnen und Bewohner ihre Häuser auf unbestimmte Zeit verlassen. Das von einer Steinlawine bedrohte Dorf darf seither nicht mehr betreten werden. Nach starken Niederschlägen nahmen auch diesen Sommer die Geröllbewegungen wieder zu, bei Redaktionsschluss Mitte August hatte sich die Lage etwas entspannt. Die Behörden beteuern, dass das Dorf nicht aufgegeben werden soll. So soll der Bau eines Entwässerungsstollens für 40 Millionen Franken den Druck auf die Rutschungen reduzieren. Dennoch bereitet man sich in Brienz auf eine mögliche Umsiedlung vor. Den sorgenvollen Blick auf bröckelnde Berge kennt man auch im Berner Oberland, zum Beispiel in Guttannen, das in der Vergangenheit immer wieder Murgänge erlebt hat («Revue» 4/2022). Oder in Kandersteg: Dort wird die instabile Flanke des «Spitze Stei» seit Jahren mit Messinstrumenten und Kameras überwacht. Aufgrund des schmelzenden Permafrostes drohen grosse Felsabbrüche mit Volumen bis zu mehreren Millionen Kubikmetern, die wiederum zu einer Flutwelle führen könnten. Um Kandersteg gegen diese Naturgefahren zu sichern, werden derzeit für 11 Millionen Franken Schutzdämme gebaut. Für die Schweizer Alpen allgemein warnen Forschende davor, dass die Stabilität von Hängen weiter abnehmen könnte. Messungen des Permafrost-Beobachtungsnetzes PERMOS an über 20 Standorten zeigen, dass die Temperaturen im gefrorenen Untergrund in den letzten Jahren deutlich Gefahrenkarten und investieren viel Geld in Dämme gegen Hochwasser und Auffangnetze gegen Steinlawinen. Insgesamt gibt die Schweiz jährlich rund eine Milliarde Franken für den Schutz vor Naturgefahren aus. Dazu gehören auch Frühwarnsysteme, die rechtzeitige Evakuierungen von Siedlungen ermöglichen und dadurch Menschenleben retten. Für die ETH-Klimaforscherin Sonia Seneviratne, Vorstandsmitglied des Weltklimarates, sind diese Schutzmassnahmen wichtig. Doch: «Wenn man die langfristig drohenden Entwicklungen betrachtet, sind das eher Notlösungen», gab Seneviratne in einem Interview mit dem Newsportal «Watson» zu bedenken. Die entscheidende Frage sei eine andere: «Wie sinnvoll ist es, in Gebieten zu wohnen und zu bauen, die immer stärker gefährdet sind?» Die Klimaerwärmung werde in den Alpen das Risiko für Steinschläge, Murgänge und Bergstürze weiter erhöhen. Dies sollte man bei der Entwicklung dieser Regionen unbedingt berücksichtigen, betont die Wissenschaftlerin. «Solange wir die CO₂-Emissionen nicht drastisch senken und die Klimaerwärmung nicht stabilisieren, werden sich solche tragischen Situationen kaum verhindern lassen.» Oben: In Bondo (GR) investierte die Behörde 50 Millionen Franken in Schutzbauten – darunter ein Damm und ein Auffangbecken. 2017 hatte ein Murgang das Dorf verwüstet. Rechts: Starke Niederschläge in der Südschweiz richteten im Sommer 2024 grosse Zerstörungen an – im Bild ein weggeschwemmtes Teilstück der A13 bei Lostallo im Misox. Unten: Im Bündner Dorf Brienz rutscht der Hang weiter. Ob die aus ihren Häusern Evakuierten je zurückkehren können, ist ungewiss. Fotos Keystone Schweizer Revue / Oktober 2025 / Nr.4 7

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