Schweizer Revue 2/2021

Schweizer Revue / April 2021 / Nr.2 30 Sie sprechen eine deutliche Sprache. «Wenn viel zu viele gern mit dem Feuer spielen, in Hass losgerannt und Hoffnung verbrannt, haben wir versagt». So tönt es im Lied «Heile Welt». Auch die Bildsprache zur neuen Single von Nora Steiner und Madlaina Pollina ist direkt und unverblümt. Donald Trump, Plas­ tikmüll an einem Strand, Flüchtlinge, Des­ poten und die Mauer an der mexikanischen Grenze sind im Clip zu sehen. Steiner &Mad­ laina singen, «dass die heutige Zeit dieMensch­ heit entzweit», bevor die Zeilen in einem ebenso melancholischen wie eingängigen Refrain aufgehen. Wehmut nach einer heilen Welt kommt auf, dazu gibts Bilder aus einer idyllischen Kindheit ir­ gendwo auf dem Land. Eine poppigeMelodie inKombinationmit einemschnörkellos kri­ tischen Text – das bringt den Reiz dieses Liedes auf den Punkt. Doch «Heile Welt» ist nur eine von vielen Facetten auf dem neuen Album «Wünsch mir Glück». «Denk, was du willst» ist eine akustisch gehal­ tene Singer-Songwriter-Nummer über selbstzerstörerische Lust und Sehnsucht, das Titelstück «Wünsch mir Glück» ein entwaffnend zärt­ liches Liebeslied: «Warst du gestern, als ich blieb, auch kurz verliebt?» Am Ende bleibt die Einsamkeit. «Wenn ich ein Junge wäre» ist wiede­ rum eine Indierocknummer mit krachenden Gitarren, raumfüllen­ den Synthies und treibendemBeat. «Wenn ich ein Jungewäre, würde man mir mehr zutrauen. Wer bestimmt das Rollenbild der Frauen?» Das Duo aus Zürich hatte eben erst mit seinemDebüt in Deutsch­ land auf sich aufmerksam gemacht, da war das zweite Album bereits im Kasten. Doch die Pandemie machte Steiner & Madlaina einen Strich durch die Rechnung. Nun ist es endlich da. «Wünsch mir Glück» ist das erfrischende Werk zweier Frauen geworden, die in ihrer Haltung für eine enga­ gierte Jugend stehen. Und aktuell sind die Lieder geblieben – auch wenn einDonald Trump nicht mehr imAmt ist. Diemeisten Erkennt­ nissemögen zwar nicht wirklichneu seinund in ihrer Direktheit nicht eben poetisch. Aber immerhin drehen sie sich um politische und ge­ sellschaftskritische Themen und nicht etwa um platte Oberflächlich­ keiten. Damagman Steiner &Madlaina ihren bisweilen altklugen Ton gerne verzeihen. MARKO LEHT INEN Im September 1933 sticht das Dampfboot «Ismé» in La Rochelle an der französischen Atlantikküste in See. Kapitänin ist die Schwei­ zerin Cilette Ofaire, die erste staatlich ge­ prüfte Frau in diesem Beruf. Mit wenigen Matrosen, darunter dem Italiener Ettore, will sie Spanien und Portugal umschiffen. Die stürmischenWintermonate, korrupte Hafen­ beamte oder Geldnot zwingen die Crew manchmal wochenlang, in einem Hafen aus­ zuharren, bis sie im Sommer 1934 durch die Strasse von Gibraltar ins Mittelmeer einfah­ ren können. Den Lebensunterhalt bestreitet die Kapitänin mit dem Schreiben von Erzäh­ lungen und der Aufnahme zahlender Gäste an Bord. Während des langen Aufenthalts im Hafen der Insel Ibiza ge­ raten Schiff und Mannschaft in die Wirren des spanischen Bürger­ krieges. Bombeneinschläge beschädigen die «Ismé» und zwingen die Kapitäninmit ihrer Crew– bestehend nur noch aus Ettore und seiner schwangeren Frau – auf der Insel Zuflucht zu nehmen. ImDezember 1936werden sie unerwartet alle zur Ausreise aus Spanien gezwungen. Schweren Herzens müssen sie das Schiff aufgeben. Die Autorin Cilette Ofaire nennt das Buch über ihre Schiffsreise einen romanhaften Bericht. Publiziert wird «Ismé» 1940 zuerst in Lausanne und später in Frankreich. Es wird schnell zum Bestseller und erscheint in verschiedenen Sprachen. Die ergreifendeMenschen­ liebe, die das Buch durchdringt, der Drang nach Freiheit wie auch das humorvolleWesender Autorin berührendieMenschen, die unter dem ZweitenWeltkrieg leiden. Geschrieben in einer frischen und schnör­ kellosen Sprache faszinieren die abenteuerliche Seereise und das Leben auf dem Schiff Leser und Leserinnen – damals wie heute. Herausgeber der Neuausgabe von «Ismé» ist der Schweizer Publi­ zist und Literaturkritiker Charles Linsmayer. Seine ausgezeichnete Biografie der Autorin bereichert die Ausgabe. Fotografien aus dem Leben von Ofaire und ihr gezeichnetes Bordtagebuch ergänzen das Buch vorzüglich, das gleichzeitig auf Deutsch und Französisch er­ schienen ist. Cilette Ofaire, 1891 im Kanton Neuenburg geboren, absolvierte eine Ausbildung als Malerin. Mit ihremMann, demKünstler Charles Hofer, fuhr sie auf Flüssen und Kanälen durch Europa, bis sie nach demScheiternder Ehe das Dampfboot Ismé kaufte. DieMalereimusste sie wegen eines Augenleidens gänzlich aufgeben. In Südfrankreich, wo sie sich später niederlies, verfasste sie mehrere Romane. Nach ihrem Tod 1964 geriet die Autorin in Vergessenheit, bis sie in den späten Achtzigerjahren wiederentdeckt wurde. RUTH VON GUNTEN Unverblümt kritisch, entwaffnend zerbrechlich Sehnsucht nach Freiheit Gehört Gelesen STEINER & MADL AINA: «Wünsch mir Glück» Glitterhouse/Irascible 2021 CI LETTE OFAIRE «Ismé» Th. Gut Verlag, Zürich, 2020 560 Seiten, 39 CHF

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