Schweizer Revue 4/2022

direkte Demokratie zu gewährleisten», sagt Ariane Rustichelli. Einige Kantone seien daran interessiert, 2023 mit Testläufen zu starten. Es sind dies Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau. Graubünden will ab 2024 loslegen. Fachhochschule veröffentlicht ebenfalls Quellcode Dass sich zurzeit alle Augen auf die Schweizerische Post richten, hat mit fehlender Konkurrenz zu tun. Das E-Voting-System des Kantons Genf ist zwar weiterverfolgt worden, aber nur in einem Bereich. Ein Team der Berner Fachhochschule pflegte den Quellcode ab 2019 weiter. Es war für die kryptografischen Spezifikationen bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugezogen worden. Als der Auftrag des Pionierkantons wegfiel, arbeitete es im Rahmen eines eGovernment-­ Projekts des Bundes weiter. «Wir konnten alle sicherheitsrelevanten Teile des Systems komplett umsetzen», sagt Informatik-Professor Rolf Haenni. Der Aufwand habe sich gelohnt: Der öffentlich verfügbare Code habe ein hohes Qualitätsniveau erreicht. Darauf könnten andere aufbauen, so Rolf Haenni. «Leider hat sich bis jetzt noch keine Firma dafür interessiert.» Die Jungen erledigen vieles per Smartphone Ein E-Voting-System zu entwickeln, sei extrem komplex und teuer, sagt Ariane Rustichelli. Die Post habe dafür schon viel Geld und Zeit investiert, gibt sie zu bedenken. «Wir hoffen, dass sie an diesem Engagement festhält.» Die Post betont die strategische Bedeutung des Projekts. «Es geht hier um die Zukunft der Post in einer immer digitaleren Welt, es sind also entscheidende Investitionen für eine Post von morgen», sagt Sprecherin Silvana Grellmann. Umfragen zeigten, dass sich die Stimmberechtigten einen weiteren Abstimmungskanal wünschten. Diese Forderung werde zunehmen. «Im Alltag der heranwachsenden Generation gilt: Alles kann mit dem Smartphone erledigt werden. Dass dies gerade bei der politischen Mitsprache nicht möglich ist, wäre in der nahen Zukunft wohl schwer nachvollziehbar.» Die Post bekräftigt ihre Absicht, 2023 ein E-Voting-System zur Verfügung zu stellen. Sie arbeitet allerdings nach Prinzip «Sicherheit vor Geschwindigkeit». Generaldirektor Roberto Cirillo sagte kürzlich vor den Medien: «Die grösste Herausforderung ist es, das Vertrauen in unsere Lösung hochzuhalten.» Das Unternehmen macht daher transparent, wie es Fehler aufspürt und ausmerzt. 2021 hat es seinen Quellcode veröffentlicht und ein Bug-Bounty-Programm lanciert. Es hat aus der Hackerszene rund 130 Meldungen erhalten und relevante Hinweise mit insgesamt 97 000 Franken belohnt. Wieviel es darüber hinaus fürs E-Voting ausgibt, kommuniziert es nicht. Wenn die Post ihre IT-Lösung verbessert hat, steht eine weitere unabhängige Überprüfung an. Erst wenn deren Ergebnisse vorliegen, können die Kantone aktiv werden und eine Bewilligung für neue Versuche beantragen. Je nach Ausgangslage werden sie ihre Infrastruktur, bestehende Prozesse, Schnittstellen zu anderen Systemen und den Stimmrechtsausweis anpassen müssen. «Ein solches Integrationsprojekt dauert aufgrund unterschiedlicher Faktoren und Fristen ein bis eineinhalb Jahre», sagt Barbara Schüpbach-Guggenbühl, Präsidentin der Schweizerischen Staatsschreiberkonferenz. Es sei deshalb ein ambitioniertes Ziel, E-Voting bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 einsetzen zu wollen. Dass dies gelingen wird, ist eher unwahrscheinlich. Die rund 788 000 Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben, werden wohl auf das briefliche Verfahren vertrauen müssen. Ariane Rustichelli würde dies bedauern: «Da die Unterlagen oft zu spät eintreffen, wird es vielen nicht möglich sein, ihre politischen Rechte wahrzunehmen.» «Die grösste Herausforderung ist es, das Vertrauen in unsere Lösung hochzuhalten» Roberto Cirillo, Post-Generaldirektor Schweizer Revue / August 2022 / Nr.4 17

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