Schweizer Revue 1/2024

Die Comicfigur Titeuf hat sich seit ihrer Geburt im Jahr 1993 kaum verändert. Titeuf ist immer noch der zehnjährige Junge – zu Beginn war er acht – mit der widerspenstigen Haarsträhne auf seinem Eierkopf. Die Welt um ihn herum hat sich hingegen vollkommen gewandelt. In «Suivez la mèche» (dt. «Folgt der Strähne»), dem 18. Band der Reihe, wurden Zeps Spiele aus seiner Kindheit vom Smartphone fast ganz verdrängt. Früher «kletterten wir auf Bäume, rasten die grossen Boulevards hinunter und zogen die Blicke der Passanten auf uns, indem wir die Clowns spielten», erzählt Titeufs Grossmutter ihrem Enkel. Diese Welt war auch diejenige von Zep – nun ist es eine Welt voller SUVs und Menschenmengen, die mit gesenktem Kopf auf ihr Smartphone starren. Wegen seiner mangelhaften Leistungen in Mathe hat Titeuf noch keins bekommen. Zwei Motive prägen «Suivez la mèche»: die Zerstörung unserer Umwelt und die Auswirkungen von Bildschirmen. «Wenn ich einmal gross bin, werde ich ein Influencer; dann kann ich die Dummheiten der Erwachsenen ausbügeln (…) und die CO2-Bilanz reduzieren», resümiert Titeuf. Wie immer zeigt Titeuf eine kindliche Sicht auf die Welt. Die Pointen in «Suivez la mèche» drehen sich um schwierige Themen. So wird Titeufs Freund Manu auf TikTok von der schönen Emma kontaktiert. Die beiden Freunde finden heraus, dass sich hinter dem Bild ein Pädophiler in Unterhosen verbirgt. «Aber ich bin dein echter Freund», versichert Titeuf Manu. Der Junge mit der widerspenstigen Haarsträhne hat die Idee, Nadias Herz zu erobern, schon fast aufgegeben. Er hat sich stattdessen Ramatou angenähert, einer Vegetarierin. Gar kein Fleisch essen? Eine Geste der Rebellion der Kleinen – angesichts der Umweltzerstörung durch die Grossen, sagt Zep. In Sachen Liebe hat der Genfer Zeichner einen anderen Vorschlag für Titeuf: Thérèse. Dieses etwas weltfremde Mädchen geht unserem Helden auf die Nerven, weil seine Reaktionen immer etwas neben der Norm liegen. Aber Thérèse fasziniert ihn auch ein wenig. Zep hat jedenfalls eine Schwäche für die Figur, nicht zuletzt, weil sie keine Follower braucht. «Suivez la mèche» kann durchaus auch Erwachsene ansprechen. Zep thematisiert auch Genderfragen. Zum Beispiel, als Titeuf zu Übungszwecken sein Spiegelbild küsst: Heisst das nun, dass er homosexuell ist? Oder autosexuell? Oder gar doppelsexuell? Die Rolle von Titeufs Vater sieht man in einer urkomischen Szene, in der Papa all das macht, was er seinem Sohn verboten hat. Zep konnte die Welt nicht retten. Die Zukunft liegt in den Händen von Titeuf. STÉPHANE HERZOG Zep überlässt es Titeuf, den Planeten zu retten ZEP «Titeuf 18 – Suivez la mèche», Edition Glénat, 48 Seiten, 19.00 CHF Schwierig sei das zu beantworten, aber es gelte, ein Format zu finden, in dem die Menschen diese Entdeckungskraft wiederfinden. «Vielleicht aber sollten die Künstler für ihre Konzerte auch wieder selbst mehr Werbung machen, so wie einst vor 100 Jahren. Die Jungen müssen sich wohl besser präsentieren.» Und vielleicht sollten die Jungen dem jungen Alten Hasen Gabetta Glauben schenken. CHRISTIAN BERZINS Schweizer Revue / Januar 2024 / Nr.1 23 Gelesen

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx