Schweizer Revue 2/2024

cken und künftig wieder mehr Getreide und Speiseöle einzulagern. In der Vernehmlassung stiessen diese Pläne jedoch auf Skepsis: Die betroffenen Branchen erachten ein Szenario eines einjährigen Importausfalls als übertrieben. Gleichzeitig zeigte eine Umfrage bei Fachpersonen, dass diese den Handlungsbedarf eher bei der Sicherung komplexer Lieferketten sehen. Die Landesregierung hat deshalb im Dezember 2023 einen umfassenderen Prüfauftrag erteilt. Sie will nicht nur wissen, ob es weitere Güter in den Pflichtlagern braucht, sondern auch, ob zusätzliche Instrumente nötig sind, um internationale Lieferketten von kritischen Gütern und Dienstleistungen zu überwachen. Erkenntnisse dazu sollen bis Ende 2024 vorliegen. Im internationalen Vergleich gilt die Schweiz bei der Vorratshaltung von Lebensmitteln als vorbildlich. Dies zeigt eine Länderanalyse des Forschungsinstitutes Polynomics im Auftrag des Bundes. Untersucht wurden die Nachbarländer Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich sowie Finnland und das Nicht-EU-Land Norwegen. Sie verfolgen unterschiedliche Konzepte: von umfassenden staatlichen Vorräten wie in Finnland bis zum Verzicht wie in Frankreich, das als grosser Agrarproduzent nicht auf Importe angewiesen ist. Ein weltweiter Sonderfall bleibt die Schweiz beim Horten von Kaffee: «If disaster strikes, the Swiss want to be caffeinated», kommentierte das britische Magazin «The Economist» das helvetische Unikum mit leichter Ironie. Im Fall einer Katastrophe möchten die Schweizerinnen und Schweizer mit Koffein versorgt werden. Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg Kartoffelernte vor dem Bundeshaus: In den 1940er-Jahren wurde selbst in den Städten Weizen und Kartoffeln angebaut. Mit der Ausdehnung des Ackerlandes wollte die Schweiz ihre Selbstversorgung steigern. Das Ziel einer autarken Landwirtschaft ohne Importabhängigkeit wurde aber klar verfehlt. Der «Plan Wahlen» war aus Sicht der Behörden aber zumindest moralisch ein Erfolg: Die Anbauschlacht stärkte den Durchhaltewillen in einer politisch und militärisch heiklen Zeit. Foto Keystone Duttis Unterwasser-Vorräte Auch Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler sorgte sich in den Kriegsjahren um die Landesversorgung. Auf eigene Initiative liess er in Schweizer Seen grosse Unterwassertanks mit Weizen versenken. Dort waren die Vorräte aus seiner Sicht besser vor Bombardierungen geschützt als in Lagerhallen. Der Bundesrat lehnte eine Beteiligung am Projekt aber ab. «Dutti» führte die Unterwasser-Lagerung auf eigene Faust noch bis in die 1950er-Jahre weiter. Mehr zum Thema (in Deutsch): revue.link/dutti Foto Keystone Hygienemasken, sondern auch an Ethanol, aus dem Desinfektionsmittel hergestellt wird. Noch bis 2017 hatte die Eidgenössische Alkoholverwaltung den Rohstoff an Lager. Dann wurde die Behörde im Rahmen einer Liberalisierung aufgelöst – und mit ihr die Ethanol-Vorräte. Damals ahnte noch niemand, wie wichtig das Gut wenig später werden sollte. Inzwischen hat die Branche wieder Reserven aufgebaut. Der Krieg in der Ukraine wiederum verschärfte die Stromkrise in Europa. Doch Elektrizität lässt sich nicht auf Vorrat speichern. Um die Schweiz für den Notfall eines akuten Strommangels zu wappnen, liess der Bundesrat letztes Jahr ein Reservekraftwerk bauen (siehe «Revue» 2/23). Schweiz von Importen abhängig Die Ursprünge der wirtschaftlichen Landesversorgung gehen zurück auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren viele Güter knapp, und die Versorgungslage spitzte sich in der Folge weiter zu. Anfang der 1930er-Jahre verpflichtete der Bund private Mühlen, eine gewisse Menge an Getreide vorrätig zu halten. Im Zweiten Weltkrieg lancierten die Behörden eine veritable «Anbauschlacht», um die Schweiz von Lebensmittelimporten unabhängiger zu machen. Dieses Ziel wurde zwar nicht erreicht, aber der «Plan Wahlen» – benannt nach dem Agrarpolitiker und späteren Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen – stärkte immerhin den Durchhaltewillen. Nach den Weltkriegen stieg das Sicherheitsbedürfnis bei den Reserven. In den Pflichtlagern waren auch Produkte wie Kakao, Seife, Kohle, Metalle und Schrauben vorrätig. Während Zur sicheren Landesversorgung gehören Medikamente. Hier spielten die Pflichtlager in jüngster Vergangenheit eine wichtige Rolle. Foto Keystone Gelagert werden genug Lebensmittel und Rohstoffe, um alle im Lande über drei bis vier Monate hinweg mit täglich 2300 Kalorien zu versorgen. des Kalten Kriegs wurden die Lager gar für eine Versorgungsdauer von zwölf Monaten angelegt. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Globalisierung der Wirtschaft nahmen Bedeutung und Umfang der Vorratshaltung in den 1990er-Jahren wieder ab. Doch die Schweiz bleibt bis heute auf funktionierende Versorgungsketten und Importe angewiesen. Denn das Land produziert selber nur rund die Hälfte der Nahrungsmittel, die hierzulande konsumiert werden. Angesichts der unsicheren Weltlage schlug der Bundesrat letzten Sommer vor, die Pflichtlager aufzustoSchweizer Revue / März 2024 / Nr.2

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