Schweizer Revue 4/2023

4 Schwerpunkt INTERVIEW: SUSANNE WENGER «Schweizer Revue»: Herr Straumann, ist das Ende der geschichtsträchtigen Credit Suisse ein Bruch oder Wendepunkt für die Schweiz? Tobias Straumann: Es ist zumindest ein Ereignis. Die Credit Suisse war die älteste noch existierende Schweizer Grossbank. Ein bedeutender Wendepunkt ist ihr Untergang aber nicht. Schon in den 1990er-Jahren verschwan- «Der Staat wird wohl auch die neue Grossbank stabilisieren müssen» Die Traditionsbank Credit Suisse ging nach 167 Jahren unter: Der Staat zwang die UBS, die angeschlagene Konkurrentin zu übernehmen. Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann über die Schweiz und die Grossbanken, Illusionen der Politik – und die Frage, ob das kleine Land wirklich noch eine internationale Grossbank braucht. 1856 1934 1977 Bank für die Eisenbahn Der liberale Politiker und Unternehmer Alfred Escher (Bild) gründet mit Gleichgesinnten in Zürich die Schweizerische Kreditanstalt. Die Vorgängerin der Credit Suisse steigt rasch zur grössten Handelsbank auf und finanziert den Ausbau des Schweizer Eisenbahnnetzes mit. Skimützen fürs Volk Um volksnah zu wirken, verlost die Schweizerische Kreditanstalt 800 000 Gratismützen. Bis weit in die 1990erJahre sind diese auf Skipisten zu sehen, später werden sie zum Kultobjekt. Beim Untergang der Credit Suisse sind sie deutlich mehr wert als die Bank-Aktie. Bankgeheimnis verankert Das Parlament verankert das Bankgeheimnis für Bankkunden in der Schweiz gesetzlich. Obwohl im In- und Ausland umstritten, wird es lange standhaft verteidigt. Als der internationale Druck vor allem wegen der Steuerflucht wächst, gibt die Schweiz das Bankgeheimnis für ausländische Kundschaft ab 2009 schrittweise auf. den Grossbanken. Vor gut dreissig Jahren hatte die Schweiz fünf Grossbanken, jetzt bleibt noch eine übrig. Die globale Finanzkrise 2008 mit der Rettung der grössten Schweizer Bank UBS durch den Staat und später der Wegfall des Bankgeheimnisses für ausländische Kunden waren viel heftigere Brüche. Die UBS retten, die CS zwangsfusionieren: Gleich zweimal musste der Staat in den letzten fünfzehn Jahren strauchelnden Grossbanken zu Hilfe eilen. Dabei ist die Schweiz ein Land, das die freie Marktwirtschaft hochhält. Wie passt das zusammen? Die Schweiz ist gar nicht so marktwirtschaftlich. Wir haben viele Staatsbetriebe oder Pseudostaatsbetriebe. Im Bankensektor gibt es die Kantonalbanken, das sind auch Staatsbetriebe. Ausserdem sind Staatsinterventionen für Grossbanken aus meiner Sicht kein Foto ETH-Bibliothek, Bildarchiv 4 Schwerpunkt

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx