Schweizer Revue 5/2023

Die Bank ist die Tankstelle jener, die zu Fuss gehen Am Waldrand, am Seeufer, an den Bergflanken und im Stadtpark: Überall in der Schweiz sind auffallend viele Sitzbänke zu finden. Die Bank ist aber nicht nur ein Möbel in der Landschaft, sondern auch ein Objekt der Politik. Dort steht die Bank im Spannungsfeld zwischen Sauberkeit und Spass im öffentlichen Raum. DENISE LACHAT Vermutlich würde sich niemand an eine Strassenecke stellen und stundenlang Leute beobachten. Wer sich hingegen auf eine Bank setzt und anderen Menschen beim Kommen und Gehen zusieht, handelt völlig unverdächtig. Mehr noch: Er oder sie kann mit wildfremden Menschen ins Gespräch kommen, unverbindlich reden, Kontakt haben auf Zeit. Darum verbringen gerade ältere, alleinstehende Menschen teilweise ganze Nachmittage auf der Sitzbank einer Bushaltestelle. «Menschen sitzen gerne da, wo etwas geschieht», sagt Sabina Ruff, Leiterin Sozialraum bei der Stadt Frauenfeld. Sie denkt dabei an den Zürcher Bullingerplatz oder an die Terrasse beim Zollhaus in Zürich. «Da fahren Züge, da gibt es Fahrräder, Fussgängerinnen und Fussgänger und auch Autos. Auch der Zürcher Sechseläutenplatz ist ein schönes Beispiel, hier stehen viele Stühle, die so hingestellt werden können, wie jemand gerade sitzen möchte.» Mit sozialer Funktion Ja, die Bank sei ein sozialer Ort, bekräftigt Renate Albrecher. Die Soziologin muss es wissen, sie arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am Labor für Stadtsoziologie an der ETH Lausanne und hat einen Verein zur Förderung der Schweizer «Bankkultur» gegründet. Dieser kartografiert die «Bänklischweiz» und lüftet «Bankgeheimnisse», auch mit Hilfe zahlreicher begeisterter Fans, die ihre Fotos auf die Plattform hochladen. Renate Albrecher sagt, dass bereits die ersten Schweizer Bänke an Wegkreuzungen und an Bahnhöfen gestanden hätten – also dort, wo man sieht, wer kommt und wer geht. Für die Auswärtigen wurden später mit der Entwicklung des Tourismus überall dort Bänke aufgestellt, wo eine schöne Aussicht zu bewundern war. Eine der ersten touristischen Bänke stand bei den berühmten Giessbachfällen (BE). Sie erlaubte die Kontemplation der «Wilden Natur», die durch die Maler der damaligen Zeit als Motiv berühmt gemacht wurde. Und weil gleichzeitig mit den Bänken Wanderwege angelegt wurden, «mussten sich die Engländer die schönen Schuhe nicht schmutzig machen», stellt die Soziologin fest. Heute sind Bänke in der Schweizer Landschaft selbstverständlich geworden, an Seen, Flüssen, in den Bergen. Ihre Omnipräsenz bis in die hintersten Winkel jeder noch so kleinen Tourismusgemeinde ist auch den vielen Verschönerungsvereinen geschuldet, die seit zwei Jahrhunderten auf das Aufstellen dieser Sitzmöbel spezialisiert sind. Die funktionale Bank In den Städten stehen Bänke hingegen zuweilen an abschreckenden Orten. Null Aussicht, Strassenlärm – und doch ist da eine Bank. Jenny Leuba, Projektleiterin beim Fachverband Fussverkehr Schweiz, klärt auf. Die Schweizer Bankvielfalt ist gross: Schlichte Bänke, solide Bänke, futuristische Bänke – an Seen, in Pärken, an Strassen, in Stadtzentren. Fotos Keystone (4), ZVG (1) 10 Gesellschaft

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx