Schweizer Revue 5/2023

OKTOBER 2023 Die Zeitschrift für Auslandschweizer:innen Stürzt der Berg ins Tal, bröckelt auch der Mythos der ewigen Alpen Das spezielle «Bankgeheimnis» der Schweiz: Sitzbänke möbeln überall die Landschaft auf Vorbild Schaffhausen: Nirgendwo beteiligt sich das Stimmvolk pflichtbewusster an Abstimmungen

Auslandschweizer-Kongress vom 11. bis 13. Juli 2024 in Luzern 1 . SAVE THE DATE! Gemeinsam über Grenzen hinweg Bild: ©Luzern Tourismus, Anina Fässler Unsere Partner: WEITERE INFORMATIONEN © Alisha Lubben Konsularische Dienstleistungen überall, komfortabel auf Ihren mobilen Geräten www.eda.admin.ch Santiago de Chile (2023) Bedürfnisse sind verschieden – deshalb behandeln wir alle Auslandschweizer/innen wie Unikate. Wir bieten Ihnen eine persönliche und professionelle Betreuung, die höchsten Qualitätsansprüchen genügt.

Zieht es uns in die Berge, sehen wir Alpweiden, glitzernde Bergbäche, Felswände, markante Gipfel. Was wir nicht sehen: wie die afrikanische Kontinentalplatte immer noch mit aller Wucht die europäische Kontinentalplatte rammt. Wir sehen nicht, wie sich die Platten übereinanderschieben und die Erdkruste sich aufbäumt: Wir sehen – in erdgeschichtlichen Zeiträumen gedacht – nur den Wimpernschlag der Gegenwart. Wären wir fürs sehr, sehr Langsame gemacht, sähen wir, wie etwa das Matterhorn wegen dem Kampf der Kontinente weiter wächst und wächst. Um etwa 1500 Meter in einer Million Jahren. Zugleich sähen wir auch, wie Wind, Wetter und Erosion den Berg laufend abhobeln. Um ziemlich genau 1500 Meter in einer Million Jahren. Wir sehen nur die Bilanz von ständiger Hebung und permanenter Abtragung: Wir sehen unsere Berge, stabil, steinhart, verlässlich – Berge, wie sie bestens passen zu einer Schweiz, die sich als Land ohne Zerfall begreift. Doch das Bild der Berge bröckelt. Nicht nur der «ewige Firn» verflüchtigt sich selbst für menschliche Zeitbegriffe rasend schnell. Die Berge selbst erscheinen fragiler: Bergstürze und Schuttlawinen zerstören nicht nur, was sie verschütten. Sie ziehen auch tiefe Furchen in den Mythos der «ewigen Alpen». Was ist dran, an dieser gefühlten Brüchigkeit? Wir gehen in unserem Schwerpunkt auf den Wandel in den Bergen ein. Nach dramatischen Bergstürzen in Randa (1991), Gondo (2000) und Bondo (2017) lieferte uns das Bangen in Brienz (GR) den Grund dazu: Dort donnerten diesen Sommer über eine Million Kubikmeter Geröll vom Piz Linard ins Tal. Was wir damals nicht wissen konnten: Keine drei Monate später verschütteten talwärts rasende Erd- und Gesteinsmassen in den Glarner Alpen Dutzende Häuser und Höfe – als bräuchte es eine Bestätigung fürs Gefühl, dass die Berge in Bewegung sind. Zurück zum erholsamen Ausflug in die Berge! Die Chance ist riesig, dort vor malerischer Alpenkulisse eine Sitzbank anzutreffen. Die Bank lenkt unser Auge. Sie steht dort, wo sich – aus Sicht des örtlichen Tourismusvereins – der erbauliche Blick in die Ferne lohnt. Vor allem aber ist die Bank omnipräsent. Das eigentliche Schweizer «Bankgeheimnis»: Wir leben in einer möblierten Landschaft. Nach der Lektüre unseres Beitrags über Sitzbänke werden auch Sie in der Schweiz künftig überall Bänke sehen: stabile, fragile, grosse, kleine, perfekt rotglänzend lackierte und verwitterte – an allen möglichen und unmöglich Orten. MARC LETTAU, CHEFREDAKTOR 4 Schwerpunkt Bergstürze und Schuttlawinen fordern die Schweiz immer mehr heraus 8 Nachrichten Jetzt prägt der Diplomat Alexandre Fasel den schwierigen Dialog mit der EU 10 Gesellschaft Möblierte Landschaft: Sitzbänke sind in der Schweiz allgegenwärtig 14 Reportage Auf den Spuren der fleissigsten Stimmbürgerinnen und -bürger der Schweiz Nachrichten aus Ihrer Region 17 Schweizer Zahlen Rufen Eltern auf dem Spielplatz nach Emma, dann reagieren viele Emmas 18 Natur und Umwelt Das Plastik-Recycling wird ausgebaut, aber der Plastikverbrauch steigt weiter 20 Literatur Der 100-jährige Zukunftsroman von Jakob Vetsch wirkt verblüffend aktuell 22 Politik Unter der Lupe: Wie verhält sich die Fünfte Schweiz an der Urne? Macht die Schweiz Schritte auf die Nato zu, heizt das die Neutralitätsdebatte an 24 Aus dem Bundeshaus 27 SwissCommunity-News Mehr Teilhabe für die Fünfte Schweiz: Das fordert der Auslandschweizerrat 31 Diskurs Kampf der Kontinente Titelbild: Riesige Mengen von Fels und Schutt stürzten im Juni 2023 auf das zuvor evakuierte Bergdorf Brienz (GR). Foto Keystone Herausgeberin der «Schweizer Revue», des Informationsmagazins für die Fünfte Schweiz, ist die Auslandschweizer-Organisation. Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 3 Editorial Inhalt

4 Wenn der Berg kommt Schwerpunkt Foto Keystone

5 und Regierungsspitzen in die versteckten Felsbunker in den Alpentälern zurückgezogen und von dort aus das Land verteidigt. Die Stilisierung der ewigen Berge zum Hort der Sicherheit und Schönheit funktioniert allerdings nur, solange man sie unter Kontrolle hat. Solange es gelingt, Menschen, Häuser und Verkehrswege dauerhaft vor alpinen Gefahren zu schützen. Plötzlich wird – wie in Brienz – offensichtlich, dass sich Berge bewegen, und zwar eher heftiger als früher. Bringt die unberechenbarer gewordene Geologie den BergMythos zum Bröckeln? «In der Summe eine Dynamisierung» Was geologische Sturzereignisse angeht, empfiehlt Flavio Anselmetti, Professor für Geologie an der Universität Bern, zwei Prozesse auseinanderzuhalten, die oft ineinandergreifen: «Bergstürze, Steinschlag oder Hangrutsche gehören in einem Gebirge wie den Alpen, das sich noch immer hebt, bewegt und gleichzeitig abgetragen wird, zum normalen Geschehen», sagt er der «Schweizer Revue» auf Anfrage. Was nun dazukomme, sei eine Veränderung der Rahmenbedingungen durch die Klimaerwärmung. In der Erdgeschichte habe es solche Veränderungen in den diversen Wärme- und Kältephasen natürlicherweise immer gegeben. Aktuell aussergewöhnlich sei aber die – für die Zeitrechnung von Geologen – sehr rasche Erwärmung. Die Natur reagiere auf äussere Veränderungen, indem sie ein neues Gleichgewicht anstrebe, sagt Anselmetti. Die aktuelle, rapide Erwärmung Wir sehen die Alpen gerne als felsenfestes Bollwerk und Inbegriff dauerhafter Naturschönheit. Nun aber bröckeln sie häufiger – in Form von Bergstürzen, Erdrutschen, Schuttlawinen. Hat die Schweiz die Berge noch im Griff? JÜRG STEINER Im Frühsommer 2023 machte das kleine Dorf Brienz (GR), das über der Albula-Passstrasse in Graubünden liegt, wochenlang Schlagzeilen. Die rund 80 Einwohnerinnen und Einwohner mussten ihre Häuser auf behördliche Anweisung verlassen, weil ein mächtiges Geröllpaket vom Piz Linard auf das darunterliegende Dorf abzurutschen drohte. Schweizer Medien rapportierten jede Bewegung des Bergs minutiös, die Boulevard-Zeitung «Blick» stellte eine Fixkamera auf, über die man online zuschauen konnte, ob der Berg ob Brienz jetzt wirklich kommt. «A Swiss village is warned to flee its shifting mountainside», titelte die «New York Times» dramatisch. Mit dem abrutschenden Geröll sei es wie mit einem Tornado, zitiert der Reporter der New Yorker Zeitung einen Einwohner von Brienz: Die Steine würden dorthin gehen, wo sie wollten, ob ihnen jemand oder etwas im Weg stehe oder nicht. Das Bergland Schweiz, so klang es, gerät in Bedrängnis durch seine Berge. Der Ausnahmezustand von Brienz endete glimpflich. In der Nacht auf den 16. Juni 2023 ging ein Teil des Bergs – eine mächtige Gesteinsmasse, die etwa 300 000 Lastwagen gefüllt hätte – als Schuttstrom ab, drang jedoch knapp nicht bis zu den evakuierten Häusern vor. Verletzt wurde niemand. Wenige Wochen nach dem Niedergang konnten die Menschen wieder in ihr Dorf zurückkehren. Gesteigerte Aufmerksamkeit Trotzdem bleibt es in Brienz unruhig. Denn da ist nicht nur der Berg, der kommt. Sondern auch der Boden, der geht: Das Plateau, auf dem das Dorf steht, gleitet mit einer Geschwindigkeit von rund einem Meter pro Jahr langsam, aber kontinuierlich ab. Seit Jahrzehnten. Hauswände und Strassen reissen auf, Leitungen brechen. Das Erstaunlichste daran: Die Behörden denken trotz Mehrfachbedrohung nicht daran, Brienz aufzugeben. Sie tun alles dafür, dass das Bergdorf dauerhaft bewohnbar bleibt. Ein 40 Millionen Franken teures Labyrinth von Entwässerungsstollen und -bohrungen soll das bewegte Gelände unter dem Piz Linard beruhigen. Bund und Kanton finanzieren kräftig mit, damit die 80 Einwohnerinnen und Einwohner hoffen dürfen, in Brienz eine langfristige Zukunft zu haben. Hort der Sicherheit und Schönheit Dass der bedrohlich rutschende Berg im abgelegenen Albulatal zum grossen Aufreger wurde, ist ein Muster, das Bergsturz-Ereignisse in der Schweiz fast immer begleitet – in den letzten Jahren noch intensiver, weil die Klimaerwärmung der Stabilität im Berggebiet zusätzlich zusetzt. Und damit auch die Medienaufmerksamkeit befeuert. Es geht nicht nur um die objektive Naturgefahr. Sondern meist schwingt unausgesprochen mit, dass bröckelnde Berge auch das schweizerische Selbstverständnis herausfordern. Die RéduitStrategie im Zweiten Weltkrieg hat den Mythos des Alpenriegels als verlässliche, uneinnehmbare Festung des schweizerischen Widerstandsgeists verankert. Im Falle einer Invasion von Hitlers Truppen hätten sich Armee- Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5

führe «in der Summe zu einer Dynamisierung der ohnehin stattfindenden geologischen Prozesse im Berggebiet», ergänzt der Geologe. Das einleuchtendste Beispiel dafür ist die Erhöhung der Permafrostgrenze. Gemeint ist damit die Zone dauerhaft gefrorener Böden aus Fels oder Schutt oberhalb von rund 2500 Metern. Wird es wärmer, geDie Stilisierung der ewigen Berge zum Hort der Sicherheit und Schönheit funktioniert nur, solange man sie unter Kontrolle hat nauestens beobachtete Schwächezone über dem relativ tief liegenden bündnerischen Brienz zum Beispiel hat keinen direkten Zusammenhang mit der Klimaerwärmung. Andererseits ist es denkbar, dass sich die Situation in aus anderen Gründen instabilen Gebieten zuspitzt, wenn als Folge der Klimaerwärmung zum Beispiel Starkniederschläge zunehmen. Oder wenn der Schutzwald geschwächt wird, weil einzelne Baumarten mit grösserer Trockenheit nicht klarkommen. Millionen für Überwachung und Vorsorge Die Geografin Käthi Liechti ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Gebirgshydrologie und Massenbewegungen an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Sie verantwortet die Unwetterschadens-Datenbank, die auch Bergstürze und Steinschläge umfasst und seit über 50 Jahren nachgeführt wird. Eine klare Aussage über die Zu- oder Abnahme von Schadensereignissen in den Bergen lasse sich aber nicht machen, hält sie fest. Einer der Hauptgründe: Es verändern sich nicht nur die natürlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Art und Weise, wie Behörden und Bevölkerung mit den bröckelnden Alpen umgehen. Die Siedlungsfläche der Schweiz wächst, die Infrastruktur wird wertvoller – damit Über eine Million Kubikmeter Geröll donnerte in der Nacht auf den 16. Juni 2023 vom Piz Linard aufs zuvor evakuierte Bündner Bergdorf Brienz zu. Foto Keystone spitzt sich das Risiko zu, dass zum Beispiel ein Bergsturz grossen Schaden anrichtet. Man könnte sagen: Unabhängig davon, ob die Zahl geologischer Sturzereignisse mit der Klimaerwärmung zunimmt oder nicht, exponierter ist die Schweiz auf jeden Fall geworden. Auf der anderen Seite sind laut Liechti die organisatorischen und technischen Schutz- und Überwachungsmassnahmen ausgereifter als früher. Sie meint damit Prognose- und Frühwarnsysteme, aber auch bauliche Massnahmen wie Rückhaltebecken oder Schutzwälle. «Für den Schutz vor Naturgefahren wenden Bund und Kantone heute jährlich mehrere Hundert Millionen Franken auf», sagt Liechti zur «Schweizer Revue». Schäden würden so erfolgreich minimiert: Auf jeden Fall hätten sich die Schadenssummen über die letzten Jahrzehnte hinweg nicht signifikant verändert, so Liechti. Schicksalshafte Katastrophen, zähmbare Naturgefahren Salopp gesagt: Bröckeln die Berge stärker, erhöht die Schweiz den Einsatz, sie im Griff zu behalten. Historisch gesehen geht sie damit den Weg weiter, Sturzereignisse in den Bergen von schicksalshaften Katastrophen zu zähmbaren Naturgefahren umzudeuten. 1806 hörten die Einwohnerinnen und Einwohner von Goldau (SZ) in der Nacht oben am Rossberg monatelang Wurzeln knacken und sahen im Hang sich öffnende Spalten. Eine Reaktion blieb aus, von vorsorglicher Evakuation redete niemand. Als Anfang September nach starken Regenfällen riesige Gesteinspakete abrutschten, begruben sie fast 500 Personen unter sich und zerstörten einen Grossteil von Goldau. 75 Jahre später liessen sich die Gottesdienst-Besucher in der Kirche von Elm nicht beunruhigen, als sie an eiraten diese Böden in Bewegung. Sie tauen auf und gefrieren wieder, was zu Rutschungen, Sackungen oder Felsstürzen führen kann. Aus dem Trend zur Dynamisierung sollte man aber nicht vereinfachende Schlüsse ziehen, sagt Geologieprofessor Anselmetti: Etwa, dass jeder Erdrutsch oder Bergsturz eine Folge der Klimaerwärmung sei. Oder dass die Gefahren wegen dem veränderten Klima automatisch grösser würden. Die seit Jahrzehnten bekannte und geSchweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 6 Schwerpunkt

Das identitätsstiftende Muster, das sich im 19. Jahrhundert andeutete, entwickelte sich weiter. Nach allen drei grossen Bergstürzen des 20. und 21. Jahrhunderts – in Randa 1991, in Gondo 2000, im rechtzeitig evakuierten Bondo 2017 – zeigte sich das zuständige Mitglied des Bundesrats vor Ort auf dem Schuttkegel. Die vermittelte Botschaft: Das ganze Land unterstützt die betroffene Bevölkerung. Aber auch: Wir tun alles, dem Berg die Stirn zu bieten. Wenn er kommt oder zu kommen droht, räumt man in der Schweiz nicht einfach das Feld – auch nicht, wenn die Lage mit der Klimaerwärmung komplizierter wird. Alles im Griff? Was von Goldau 1806 bis heute gleich geblieben ist: Es war nie die Frage, von bröckelnden Bergen gefährdete nem September-Sonntag krachende Steinschlaggeräusche vernahmen vom Berg, in dessen Innerem Schiefer abgebaut wurde. Im Gegenteil: Neugierige stiegen gar noch die Talflanke hoch. Am Nachmittag fuhr ein gewaltiger Bergsturz ins Tal, bei dem über 100 Menschen starben. Wenn der Berg kam, akzeptierte man das als unausweichliche Katastrophe. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse zur Gefahrenvorsorge stiessen auf die Skepsis der religiösen Bevölkerung. Geweckter Solidaritätsgedanke Was allerdings die grossen Bergstürze des 19. Jahrhunderts beförderten, war der Geist der nationalen Solidarität. Nach der Katastrophe von Goldau wurde erstmals eine landesweite Spendensammlung organisiert, zu Gunsten der gebeutelten Schwyzer. Diese Art der Hilfeleistung zwischen den Regionen des Landes sei in der Folge als «schweizerisches Markenzeichen propagiert worden», diagnostizierte Christian Pfister, emeritierter Professor für Umweltgeschichte an der Universität Bern. Die Schweiz habe damit ein eigenes Profil der Identitätsfindung entwickelt, das sich von jenem anderer Staaten unterscheidet, schreibt Pfister. In den Nachbarländern seien eher Kriege als Mobilisierungsereignisse für die Sache der Nation genutzt worden. oder betroffene Siedlungen aufzugeben oder nicht wieder aufzubauen. Sondern stets, sie besser zu schützen. «In dieser Beziehung», sagt Geologe Flavio Anselmetti, «ist das, was wir in Brienz erlebt haben, eine Meisterleistung.» Es sei gelungen, trotz komplexer geologischer Situation die Bewegungen des Bergs korrekt zu deuten und die betroffene Bevölkerung «zum genau richtigen Zeitpunkt zu evakuieren, als das Ereignis tatsächlich eintraf». Besser kann man die Berge eigentlich nicht im Griff haben. Das bedeutet aber nicht, dass die Beziehung zwischen der Schweiz und ihren unberechenbarer werdenden Bergen keine Retuschen erfährt. Der Profi-Alpinist Roger Schäli weiss, wie sich bröckelnde Berge von nahe anfühlen. Weit über 50 Mal ist er durch die Eigernordwand geklettert, oft über die Route der Erstbesteiger durch das berühmte Schneefeld der Weissen Spinne. Dieses schmilzt heute im Sommer meist komplett ab. «Die Wärme setzt der Eigernordwand unglaublich zu», sagt Schäli. «Es kommt deutlich mehr Wasser herunter, der Steinschlag ist heftiger und andauernder geworden. Einigermassen geschützt ist man in sehr steilen Wandpartien, weil die Steine über einen hinwegfliegen.» Die klassische Route könne heute praktisch nur noch im Winter bei Minustemperaturen begangen werden. Mit dem, was Profi Schäli in der Extremlage der Eigerwand erlebt, werden auch Hobby-Berggänger konfrontiert. Der Schweizerische Alpen-Club (SAC) führt 153 Hütten im Gebirge, viele von ihnen sind wegen der Klimaerwärmung potenziell gefährdet. 2021 gab der SAC erstmals den Betrieb einer Hütte wegen der Klimaerwärmung auf, die Mutthornhütte im Kandertal wegen akuter Gefahr durch einen Bergsturz. Der geplante Neubau an sicherer Lage kostet 3,5 Millionen Franken. Die Berge im Griff zu behalten, muss man sich leisten können. 40 Millionen Kubikmeter Gestein stürzten am 2. September 1806 vom Rossberg in Richtung Goldau. Die Bilanz: 500 Tote und unermessliche Verwüstung. Illustration: Franz Xaver Triner (1767–1824) und Gabriel Lory (1763–1840); Staatsarchiv Schwyz Einwohnerinnen und Einwohner von Bondo (GR) schauen zu, wie am 25. August 2017 ein Murgang ihr Dorf verwüstet. Auslöser war der mächtige Bergsturz am Piz Cengalo zwei Tage zuvor. Foto Keystone Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 7

Credit Suisse (I): Die Marke verschwindet komplett Der Niedergang der Grossbank Credit Suisse (siehe auch «Revue» 4/2023) sorgt weiterhin für Schlagzeilen. Jetzt ist klar: Die Credit Suisse (CS) wird als eigenständige Marke komplett verschwinden, denn das Schweiz-Geschäft der CS wird bis 2025 vollständig in die UBS integriert. Das gab die UBS-Spitze Ende August bekannt. Die UBS, einstige Konkurrentin der CS, hatte sich am 19. März 2023 bereit erklärt, die strauchelnde Bank zu übernehmen. Damals blieb noch offen, ob und in welcher Form die CS weiterhin eine eigenständige Zukunft haben könnte. (MUL) Credit Suisse (II): Massiver Stellenabbau Ende August beendete UBS-Chef Sergio Ermotti die Spekulationen zu den Folgen der Übernahme der Credit Suisse (CS): Er sagte, die Integration der CS in die UBS werde zu 3000 Entlassungen führen. Externe Bankenexperten gehen davon aus, dass weit mehr Stellen verloren gehen, als von Ermotti eingeräumt. In der kommunizierten Zahl sind weder die Stellen im Ausland, noch Frühpensionierungen und auch nicht die freiwilligen Abgänge integriert. Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) rechnete gestützt auf Aussagen von Finanzfachleuten vor, dass rund 27000 Jobs verschwinden dürften. Nebst den Entlassungen und Abgängen verlören obendrauf auch Tausende von externen Spezialisten ihre Jobs. Bilde das von Sergio Ermotti genannte Sparziel von 10 Milliarden Franken den Massstab, dann komme man ebenfalls auf einen Abbau von mindestens 27000 Stellen, rechnet die «NZZ» vor. (MUL) Credit Suisse (III): UBS mit erheblichen Gewinnen Inzwischen zeigt sich, dass die UBS aus der Übernahme der angeschlagenen Credit Suisse (CS) auch einen Nutzen zieht. Die UBS schreibt im zweiten Quartal 2023 – also im Quartal, das auf die spektakuläre Übernahme folgte – einen Reingewinn von 29 Milliarden US-Dollar. Bezahlen musste die UBS für die Übernahme der angeschlagenen Konkurrentin 3 Milliarden Franken. Die Buchgewinne lassen den Schluss zu, dass der Wert der CS weit höher lag. Vom guten Geschäftsgang der UBS profitiert auch der Staat: Die UBS beschloss bereits Anfang August, die von Bund und Nationalbank gewährten Staatshilfen zurückzubezahlen. Zudem verzichtet sie auf die vom Bund gewährte Verlustgarantie über 9 Milliarden Franken. Gleichwohl monieren Experten, von der nunmehr einzigen Grossbank gingen beträchtliche Risiken für den Staat aus. Die UBS habe faktisch eine Staatsgarantie. (MUL) SBB beförderten mehr Passagiere als je zuvor Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) schreiben erstmals seit 2019 wieder schwarze Zahlen. Im ersten Halbjahr 2023 fiel das Ergebnis mit 99 Millionen Franken deutlich besser aus als in der Vergleichsperiode des Vorjahres. Die Bahn erreichte jüngst nicht nur Passagierzahlen wie in Zeiten vor der Corona-Pandemie: Sie übertraf sie sogar. Im ersten Halbjahr 2023 wurden 1,33 Millionen Reisende befördert, so viele wie noch nie. (MUL) Lia Wälti Sie ist das Herz und der Motor des Schweizer Frauenfussballteams. Als Kapitänin führte Lia Wälti die Schweizerinnen bei der Weltmeisterschaft in Neuseeland bis zum Gruppensieg. Der Achtelfinal gegen die späteren Turniergewinnerinnen aus Spanien ging jedoch mit 1:5 deutlich verloren. Im Vergleich zu anderen Nationen ist die Schweiz bei der Professionalisierung des Frauenfussballs im Hintertreffen. Dieser Rückstand lässt sich bis zur kommenden Europameisterschaft, die 2025 erstmals in der Schweiz ausgetragen wird, kaum mehr aufholen. Trotzdem erhoffen sich Lia Wälti und ihre Mitspielerinnen von der Heim-EM einen Schub für die Nachwuchsförderung und mehr Anerkennung für ihren Sport. Die 30-Jährige musste sich ihren Traum von der Profikarriere im Ausland erfüllen. Inzwischen spielt Wälti in England mit Arsenal London in einer der besten Frauenligen der Welt. Aufgewachsen ist die Mittelfeldspielerin im Emmental, wo sie bereits auf dem Pausenplatz mit den Buben kickte. Nach Stationen beim FC Langnau und beim Berner Hauptstadtclub Young Boys (YB) wechselte sie im Alter von 20 Jahren nach Deutschland zu Turbine Potsdam, wo ihr der Club wenig später die Captain-Binde übertrug. 2018 folgte schliesslich der prestigeträchtige Transfer zu Arsenal. Lia Wälti engagiert sich nicht nur für die Förderung des Frauenfussballs, sondern auch für die auf dem Spielfeld gelebten Werte wie Toleranz, Fairness und Diversität. Sie möchte dies der Gesellschaft «auf positive Art» vermitteln, wie sie unlängst der «NZZ am Sonntag» erklärte. Ideen dazu hat Lia Wälti viele: So träumt sie etwa von einem Kinderbuch mit einer jungen Fussballerin als Protagonistin. Wenn sie schon nicht die Welt verändern könne, dann möchte sie zumindest «mit kleinen Dingen etwas bewegen». THEODORA PETER Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 8 Herausgepickt Nachrichten

9 THEODORA PETER Seit dem Abbruch der Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU sind mehr als zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit sondierte die Schweizer Chefunterhändlerin Livia Leu in Brüssel, wie bei umstrittenen Punkten eine Einigung erzielt werden könnte. Dabei geht es zum Beispiel um Fragen rund um den Lohnschutz, staatliche Beihilfen oder den Bezug von Sozialhilfe durch EU-Bürgerinnen und -Bürger in der Schweiz. Leu wird aber bei künftigen Verhandlungen nicht mehr mit am Tisch sitzen. Sie gab das EU-Dossier Ende August ab und wird neue Botschafterin in Berlin. Der Zeitpunkt für den Wechsel sei «günstig», erklärte die 62-Jährige in Zeitungsinterviews. Noch während ihrer Amtszeit verabschiedete der Bundesrat Ende Juni sogenannte Eckwerte für ein formelles Verhandlungsmandat. «Das ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Verhandlungen», betonte die abtretende Staatssekretärin. Unter ihrer Leitung fanden insgesamt zehn Sondierungsrunden und rund dreissig technische Gespräche statt. Die matchentscheidende Schlussphase steht aber noch bevor: «Der Pass ist gespielt, aber der Ball muss noch ins Tor.» Neuer Staatssekretär am Ball Den Ball weiter dribbeln soll nun Leus Nachfolger Alexandre Fasel. Der neue Staatssekretär im Aussendepartement ist in den letzten neun Jahren bereits der sechste Schweizer Spitzendiplomat, der sich um das heisse EU-Dossier kümmert. Der 62-jährige Freiburger verbrachte fast sein ganzes Berufsleben im Dienst der Diplomatie, unter anderem als Botschafter in London und zuletzt als Sonderbeauftragter für Wissenschaftsdiplomatie in Genf. Die Ausnahme im Lebenslauf betrifft einen Abstecher zur Credit Suisse Anfang der 2000er-Jahre: Bei der damaligen Grossbank war Fasel während drei Jahren für das Formel-1-Sponsoring zuständig. Auf die Frage eines Journalisten, ob sich die Passion für das hohe Tempo bei Autorennen auch in der Europapolitik zeigen werde, antwortete Fasel diplomatisch: «Ich bin auch genügend Bergler, um zu wissen, dass der stetige Schritt am weitesten führt.» Mit den vor den Sommerferien verabschiedeten Eckwerten hat der Bundesrat die roten Linien vorgespurt, die im Hinblick auf neue Verhandlungen nicht überschritten werden sollen. Die konkreten Vorgaben bleiben aus verhandlungstaktischen Gründen geheim. Öffentlich bekräftigt hat die Landesregierung aber das Ziel, «den bisherigen bilateralen Weg zu stabilisieren und ihn massgeschneidert weiterzuentwickeln.» Dabei möchte der Bundesrat nicht nur die bisherigen Abkommen erneuern – unter anderem zur Personenfreizügigkeit –, sondern auch neue Verträge abschliessen, etwa zur Stromversorgung. Als weiteres Ziel nennt die Regierung die Wiederaufnahme der Schweiz in das laufende Forschungsprogramm Horizon Vor neuem Anlauf für Verhandlungen mit der EU Noch ist die bilaterale Beziehungskrise zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) nicht überwunden. Trotzdem scheint die Zeit reif für eine Annäherung. Der Bundesrat will bis Ende Jahr über ein konkretes Verhandlungsmandat entscheiden. Europe. Denn das helvetische Abseitsstehen hat für den Wissenschaftsstandort Schweiz schmerzliche Folgen (siehe auch «Schweizer Revue» 5/22). Bis Ende Jahr sollen die weiteren Sondierungen so weit abgeschlossen sein, dass der Bundesrat in der Folge entscheiden kann, ob er ab 2024 in formelle Verhandlungen mit der EU einsteigen will. Bis die bilaterale Beziehungskrise tatsächlich überwunden ist, dürfte es aber noch länger dauern. revue.link/europapolitik Die abtretende Chefunterhändlerin Livia Leu griff bei ihrem Rücktritt zur Fussballmetapher: «Der Pass ist gespielt, aber der Ball muss noch ins Tor» Alexandre Fasel ist der sechste Schweizer Spitzendiplomat innert neun Jahren, der sich ums heisse EU-Dossier kümmert. Fotos Keystone Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 Nachrichten

Die Bank ist die Tankstelle jener, die zu Fuss gehen Am Waldrand, am Seeufer, an den Bergflanken und im Stadtpark: Überall in der Schweiz sind auffallend viele Sitzbänke zu finden. Die Bank ist aber nicht nur ein Möbel in der Landschaft, sondern auch ein Objekt der Politik. Dort steht die Bank im Spannungsfeld zwischen Sauberkeit und Spass im öffentlichen Raum. DENISE LACHAT Vermutlich würde sich niemand an eine Strassenecke stellen und stundenlang Leute beobachten. Wer sich hingegen auf eine Bank setzt und anderen Menschen beim Kommen und Gehen zusieht, handelt völlig unverdächtig. Mehr noch: Er oder sie kann mit wildfremden Menschen ins Gespräch kommen, unverbindlich reden, Kontakt haben auf Zeit. Darum verbringen gerade ältere, alleinstehende Menschen teilweise ganze Nachmittage auf der Sitzbank einer Bushaltestelle. «Menschen sitzen gerne da, wo etwas geschieht», sagt Sabina Ruff, Leiterin Sozialraum bei der Stadt Frauenfeld. Sie denkt dabei an den Zürcher Bullingerplatz oder an die Terrasse beim Zollhaus in Zürich. «Da fahren Züge, da gibt es Fahrräder, Fussgängerinnen und Fussgänger und auch Autos. Auch der Zürcher Sechseläutenplatz ist ein schönes Beispiel, hier stehen viele Stühle, die so hingestellt werden können, wie jemand gerade sitzen möchte.» Mit sozialer Funktion Ja, die Bank sei ein sozialer Ort, bekräftigt Renate Albrecher. Die Soziologin muss es wissen, sie arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am Labor für Stadtsoziologie an der ETH Lausanne und hat einen Verein zur Förderung der Schweizer «Bankkultur» gegründet. Dieser kartografiert die «Bänklischweiz» und lüftet «Bankgeheimnisse», auch mit Hilfe zahlreicher begeisterter Fans, die ihre Fotos auf die Plattform hochladen. Renate Albrecher sagt, dass bereits die ersten Schweizer Bänke an Wegkreuzungen und an Bahnhöfen gestanden hätten – also dort, wo man sieht, wer kommt und wer geht. Für die Auswärtigen wurden später mit der Entwicklung des Tourismus überall dort Bänke aufgestellt, wo eine schöne Aussicht zu bewundern war. Eine der ersten touristischen Bänke stand bei den berühmten Giessbachfällen (BE). Sie erlaubte die Kontemplation der «Wilden Natur», die durch die Maler der damaligen Zeit als Motiv berühmt gemacht wurde. Und weil gleichzeitig mit den Bänken Wanderwege angelegt wurden, «mussten sich die Engländer die schönen Schuhe nicht schmutzig machen», stellt die Soziologin fest. Heute sind Bänke in der Schweizer Landschaft selbstverständlich geworden, an Seen, Flüssen, in den Bergen. Ihre Omnipräsenz bis in die hintersten Winkel jeder noch so kleinen Tourismusgemeinde ist auch den vielen Verschönerungsvereinen geschuldet, die seit zwei Jahrhunderten auf das Aufstellen dieser Sitzmöbel spezialisiert sind. Die funktionale Bank In den Städten stehen Bänke hingegen zuweilen an abschreckenden Orten. Null Aussicht, Strassenlärm – und doch ist da eine Bank. Jenny Leuba, Projektleiterin beim Fachverband Fussverkehr Schweiz, klärt auf. Die Schweizer Bankvielfalt ist gross: Schlichte Bänke, solide Bänke, futuristische Bänke – an Seen, in Pärken, an Strassen, in Stadtzentren. Fotos Keystone (4), ZVG (1) 10 Gesellschaft

Die Bank steht vielleicht auf halbem Weg zwischen dem Einkaufszentrum und der Bushaltestelle oder an einem steilen Wegstück. «Gerade für Seniorinnen und Senioren sind solche Möglichkeiten zum Durchatmen und Ausruhen unverzichtbar», sagt Leuba und verweist damit auf eine weitere Funktion der Sitzbank: Die Bevölkerung soll sich in der Stadt zu Fuss bewegen können. Damit dies auch für ältere Menschen, Familien mit Kindern, Kranke, Verletzte, Gehbehinderte und ihre Begleitpersonen gilt, braucht es ein Netz an Sitzgelegenheiten, das die Quartiere verbindet und ein «Auftanken» möglich macht. Renate Albrecher sagt denn auch, die Bank sei die Tankstelle für jene, die zu Fuss gehen. Teil der Mobilitätsplanung Jenny Leuba hat im Auftrag mehrerer Schweizer Städte und Gemeinden Sitzbankkonzepte erstellt und dabei eine erstaunliche Feststellung gemacht. Obwohl eine Bank bis zu fünftausend Franken kostet, wissen die Behörden nicht, wie viele Bänke in ihrer Stadt stehen. Sie sieht den Grund dafür in den verzettelten Zuständigkeiten für Plätze, Pärke und Strassen. «Es gibt kein Amt für den öffentlichen Raum, der Gesamtblick fehlt.» Das sei auch der Grund, warum die Bank in der Mobilitätsplanung vergessen gehe, bedauert Albrecher. «Der Bank fehlt schlicht die Lobby.» In Sachen Sitzbänke, darin sind sich die drei Spezialistinnen einig, gebe es in den meisten Städten noch Potenzial. Zudem fehlten sie ausgerechnet da, wo sie am meisten gebraucht würden, beispielsweise in Wohnquartieren mit vielen Seniorinnen und Senioren: «Je weiter weg vom Zentrum, desto weniger Bänke gibt es.» Widerstreit der Bedürfnisse Holz ist das Lieblingsmaterial von Renate Albrecher, Holz wird auch von den Benutzerinnen und Benutzern bevorzugt, wie sie aus Befragungen weiss. Die Städte wollten ihrerseits Mobiliar, das gegen Vandalismus immun sei und ewig halte, vielleicht sogar Autos stoppt. Darum stehe allenthalben Beton oder Metall. Von einem Betonblock könnten ältere Menschen aber schlecht aufstehen, Metall wiederum sei zum Sitzen im Sommer zu heiss und im Winter zu kalt. Was tun, damit der öffentliche Raum, der «per Definition allen gehört», wie Sabina Ruff sagt, rund um die Uhr für die gesamte Bevölkerung zugänglich ist? Das A und O heisst Partizipation. Albrecher hat im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts eine einfache Browser-App entwickelt, die unter anderen in München getestet worden ist. Ein Erfolg: «Jene Personen, die Sitzbänke nutzen und sich an üblichen Partizipationsmethoden nicht beteiligen, haben mitgemacht.» In Schweizer Städten werden auf Renate Albrecher, Gründerin und Präsidentin des Vereins zur Förderung der Schweizer Bankkultur, sitzt am liebsten auf Holz, ein Material, das die meisten «Bankkund:innen» bevorzugen. Foto: François Wavre, Lundi13 Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 11

Impuls von «Gesundheitsförderung Schweiz» Quartierbegehungen organisiert. Ebenfalls mit Erfolg. «Die Behörden sind heute sensibler für das Thema», sagt Jenny Leuba von Fussverkehr Schweiz. Das Wohnzimmer im Freien Wurden in den letzten Jahren gerade um Bahnhöfe herum Sitzgelegenheiten abmontiert oder unbequem gestaltet, um langes Verweilen zu verhindern, sind einzelne Schweizer Städte heute gar als Trendsetterinnen unterwegs und möblieren den öffentlichen Raum stellenweise wie ein Wohnzimmer. Dafür werden Strassenstücke gesperrt oder Parkplätze umfunktioniert. In Bern beispielsweise wird seit 2018 ein Teil des Waisenhausplatzes im Sommer mit einer Bühne, Sitzmobiliar, Spielmöglichkeiten und grünen Inseln ausgestattet. Die zeitliche Befristung habe den Vorteil, dass kein langwieriges Bewilligungsprozedere nötig sei und ein Projekt schnell umgesetzt werden könne, sagt Claudia Luder, Projektleiterin Gestaltung und Nutzung des Berner Tiefbauamts. Sie leitet auch das Kompetenzzentrum öffentlicher Raum (KORA), das in der Bundeshauptstadt die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ämtern der Stadt Bern und der Bevölkerung fördert – ein Paradebeispiel für Koordination und Partizipation also. Luder sagt, temporäre Einrichtungen minderten auch Ängste vor Lärm und Littering. Sie spricht damit die Nutzungskonflikte eines ansprechend ausgestatteten öffentlichen Raumes an. Entschärft werden diese entweder durch positive Erfahrungen mit Provisorien wie in Bern oder mit ein paar «technischen» Tricks, wie Jenny Leuba weiss. Zwei gegenüberstehende Sitzbänke sind attraktiv für grosse Gruppen, gut beleuchtete Orte ebenfalls. Auch Nischen sind beliebt. Oder man macht es so wie die Stadt Chur. Dort, sagt Leuba, stellten die Ladenbesitzer tagsüber bunte Sitzmöbel in den Aussenraum, am Abend werden sie wieder hereingeholt. Einige Schweizer Städte und Gemeinden sind also – mit unterschiedlichem Tempo – unterwegs zu einem öffentlichen Raum, wie ihn Sabina Ruff diesen Sommer mit Begeisterung in Ljubljana entdeckt hat. Von dort stammt der slowenische Architekt und Urbanistiker Jože Plečnik. Plečnik feiere die Stadt als Bühne für das Leben und den öffentlichen Raum als Ort von Gemeinschaft und Demokratie, sagt Ruff. Genau das brauche es: eine Stadtplanung, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiere. Ruff: «Das sind städtische Räume mit vielfältigen Angeboten zum Aufenthalt.» bankkultur.ch Möbliert ist das Land mit sauberen Bänken, versprayten Bänken, verwitterten Bänken (für Geschichtenerzähler) ... und perfekt rotglänzend lackierten Bänken mitten in wilden Bergwäldern. Fotos Keystone «Menschen sitzen gerne da, wo etwas geschieht» Sabina Ruff 12 Gesellschaft

13 STÉPHANE HERZOG Seit einigen Jahren kaufen sich Schweizerinnen und Schweizer jeden Alters in der Apotheke oder im Fachhandel ein Fläschchen Öl mit Cannabidiol (CBD). CBD ist eines von vielen in Cannabis enthaltenen Molekülen. Verwendet wird CBD gegen Stress, Schmerzen und Schlaflosigkeit. Es ist auch in Cannabis zum Rauchen und in Cremes enthalten. «Der Kundenkreis für CBD-Öl ist sehr gross. Eine meiner Kundinnen kauft es bei mir für ihren autistischen Sohn. Das ist besser, als Neuroleptika zu geben», sagt ein auf Phytotherapie spezialisierter Apotheker aus Freiburg. Nun hat Ende 2022 ein Teil der Anbieter von CBD-Öl beschlossen, den Verkauf einzustellen. Der Grund dafür ist ein Kreisschreiben des Bundes, das den Verkauf dieser Ölfläschchen verbietet, es sei denn, das Öl wird mit einem Mittel versetzt, wodurch es für den Verzehr ungeeignet ist. So kann das Öl nur noch durch Auftragen auf die Haut verwendet werden. Als rezeptpflichtiges Arzneimittel ist CBD in der Schweiz zugelassen. Weder Lebensmittel noch Arzneimittel Der Aufstand gegen rezeptfrei erhältliche CBD-Öle ging von Genf aus, wo der Kantonschemiker seinen Amtskollegen eine Testkampagne vorschlug. Die Analysen ergaben in einigen Fällen Probleme mit der Dosierung von CBD oder THC (der psychoaktiven Substanz in Cannabis). Manchmal wurde eine «Überschreitung der toxikologischen Grenzwerte» festgestellt. «Diese Produkte erfüllen nicht die lebensmittelspezifischen Anforderungen und sind nicht sicher genug. Sie dürfen somit nicht vermarktet werden», fasst der Genfer Kantonschemiker Patrick Edder zusammen. «Wenn ein Produkt weder als Lebensmittel noch als Arzneimittel gilt, fällt es aus diesen beiden Kategorien heraus. Deshalb haben wir es auch ohne Tests verboten», sagt dazu Yann Berger, der Neuenburger Kantonschemiker. Mit diesem Ansatz ist die Rheumaliga Schweiz nicht einverstanden. «Wie sollen Schmerzpatientinnen und -patienten so noch Zugang zu CBD haben, das eingenommen werden darf?», fragt ihr Sprecher Patrick Frei. Die Ärztin Barbara Broers, selbst Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Cannabis in der Medizin, bedauert den Entscheid ebenfalls sehr: «Natürlich muss das Gesetz eingehalten werden, und die Situation war auch nicht perfekt. Aber die Konsumentinnen und Konsumenten konnten ein recht teures Produkt kaufen, von dem sie vor dem Einschlafen ein paar Tropfen nahmen und bei dem die Gefahr eines Missbrauchs gering war. Das ist wahrscheinlich besser, als Benzodiazepine zu konsumieren oder in Geschäfte oder ins Internet zu gehen, wo kein Apotheker Beratung bietet, oder CBD-Blüten zum Rauchen zu kaufen.» Verbot wird nicht immer eingehalten Das Verbot wird jedoch nicht immer eingehalten. In Freiburg bestellt der bereits erwähnte Apotheker weiterhin CBD-Öl bei seinen Grosshändlern in der Schweiz und in Deutschland. Der CBD-Gehalt werde durch ein Produktdatenblatt garantiert, sagt er. In Bern erklärt eine Apothekerin, dass das Öl bei ihr bald ausverkauft sei. Sie werde kein Öl mehr nachbestellen, wenn auch mit Bedauern. Und der Vizepräsident der IG Hanf, Cédric Heeb, ist der Ansicht, dass die Auswirkungen des Verbots auf die Schweizer CBD-Produktion «beträchtlich» gewesen seien. «Jede und jeder konnte diese Fläschchen kaufen», sagt er dazu. Seine in Genf ansässige Firma PhytoXtract ist eines der wenigen Unternehmen, das erfolgreich ein von Swissmedic zugelassenes CBD-Öl anbietet: «Der Rest des Marktes ist ins Internet abgewandert.» Ein Teil der Nutzerinnen und Nutzer ist zum Rauchen von CBD übergegangen. Ist das für die öffentliche Gesundheit nicht ein Misserfolg? «CBD zum Rauchen ist ein Tabakprodukt und wird als solches reguliert», antwortet darauf Alda Breitenmoser, Präsidentin des Verbandes der Kantonschemikerinnen und Kantonschemiker. Sie verstehe die breite Enttäuschung durchaus: «Aber wenn ein Risiko für die Konsumierenden besteht, ist es unsere Pflicht zu handeln.» CBD-haltige Öle? Allgemein geschätzt, dennoch verboten Seit Ende 2022 ist es Schweizer Apotheken und dem Fachhandel verboten, konsumfertiges CBD-haltiges Öl zu verkaufen. Dieses Cannabisprodukt wird als Beruhigungs- und Schmerzmittel eingenommen. Nebst den Apotheken finden auch etliche Ärztinnen und Ärzte, das Verbot sei kontraproduktiv. Frederic Couderc, Produzent von CBD-haltigem Cannabis, prüft in seinem Betrieb in Siders die Qualität seiner Pflanzen. Archivbild (2018) Keystone Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 Gesellschaft

SUSANNE WENGER Kurz bevor der Zug in die Kantonshauptstadt Schaffhausen einfährt, ist er durchs Fenster zu sehen: der imposante, der schöne Rheinfall. Enorme Wassermassen fallen über Felsen. Für dieses Naturschauspiel, ein Denkmal von nationaler Bedeutung, ist Schaffhausen berühmt. Deutlich weniger bekannt ist eine andere herausragende Eigenheit des 86 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Kantons: Nirgendwo sonst gehen so viele Bürgerinnen und Bürger an die Urne. Schaffhausen verzeichnet bei nationalen Urnengängen systematisch eine um 15 bis 20 Prozentpunkte höhere Beteiligung als im Landesdurchschnitt. An den drei eidgenössischen Abstimmungen des Jahres 2022 etwa nahmen im Schnitt 66 Prozent der Schaffhauser Stimmberechtigten teil. Über die ganze Schweiz gesehen waren es magere 45 Prozent. An den Nationalratswahlen 2019 beteiligten sich in Schaffhausen 60 Prozent, während der landesweite Durchschnitt nur 45 Prozent erreichte. Im Oktober, wenn diese Ausgabe der «Schweizer Revue» erscheint, wählt die Schweiz erneut ihr Parlament. Wiederum dürften sie im Nordostschweizer Kanton in Scharen den Wahlzettel einlegen. Warum ist unter den 26 Ständen gerade Schaffhausen der Partizipationschampion? «In unserer DNA» Auf der Suche nach Erklärungen begeben wir uns in die pittoresk historische Schaffhauser Altstadt. Hier, im Regierungsgebäude, arbeitet Christian Ritzmann, stellvertretender Staatsschreiber des Kantons Schaffhausen und mitverantwortlich für die Durchführung der Urnengänge. Er sagt: «Abzustimmen und zu wählen ist in Schaffhausen tief verwurzelt. Es ist in unserer DNA.» Allerdings wird dem Bürgersinn nachgeholfen. Schaffhausen kennt seit fast 150 Jahren eine Stimm- und Wahlpflicht. Seit den Anfängen des Bundesstaats gab es diese Pflicht auch in anderen Kantonen, doch einzig Schaffhausen hat sie bis heute beibehalten. Die Säumigen werden sanktioniert, wenn auch milde. Wer einen Urnengang verpasst, muss der Gemeinde sechs Franken Busse entrichten. Ausser man hat eine gute Entschuldigung, darunter gemäss Wahlgesetz Ferien, Berufspflichten und Krankheit. Auch wer die unausgefüllten Stimmunterlagen innerhalb von drei Tagen nach der Abstimmung oder Wahl retourniert, erhält keine Busse aufgebrummt. Das Obligatorium sei dadurch stark aufgeweicht, hält Ritzmann fest: «Es ist eine Bürgerpflicht, kein Stimmzwang.» Kleinräumigkeit und Grenznähe Das Stimm- und Wahlgebot – es gilt nicht für über 65-Jährige und auch nicht für im Ausland lebende Schaffhauserinnen und Schaffhauser – scheint breit akzeptiert. Eine Volksinitiative zur Abschaffung scheiterte vor vierzig Jahren an der Urne. Die Bevölkerung betrachte die Stimmpflicht als «Schaffhauser Spezialität», sagt Ritzmann. Sie sei damit einverstanden, weil hier seit jeher intensiv politisiert werde. Das hänge mit der Schweizer Meister im Wählen und Abstimmen Der Kanton Schaffhausen weist konstant die höchste Beteiligung an nationalen Urnen- gängen auf. Er ist auch der einzige Kanton mit einer gesetzlichen Stimm- und Wahlpflicht. Doch daran liegt es nicht allein, ist man im nördlichsten Zipfel des Landes überzeugt. Kleinräumigkeit des Kantons und der Nähe zwischen Bevölkerung und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern zusammen: «Hier trifft man sich in der Fussgängerzone, im Bus oder im Restaurant.» Der langjährige Schaffhauser SVPStänderat Hannes Germann sagt auf Anfrage, die «eher symbolische» Busse möge zwar bei der hohen Stimmbeteiligung eine Rolle spielen: «Wer zahlt dem Staat schon gerne mehr als unbedingt erforderlich?» Ausschlaggebend ist aber auch für ihn das politische Bewusstsein, und dieses rühre unter anderem von der Grenznähe Schaffhausens zu Deutschland her. Besonders vor und während dem Zweiten Weltkrieg habe es Spannungen gegeben: «Das bewegte die Menschen und motivierte sie zum Politisieren.» Verinnerlichte Bürgerpflicht «Wir haben eine lebendige Politik mit vielen jungen und älteren Interessierten», beobachtet auch Germanns Kontrahent im Wahlkampf, SP-Ständeratskandidat Simon Stocker. Die Stimm- und Wahlpflicht übe einen positiven Einfluss aus. Zugleich sei die Bürgerpflicht als Privileg so verinnerlicht, dass die Beteiligung wohl auch ohne Obligatorium höher wäre, glaubt Stocker. Dennoch würde er, wie viele andere, nie darauf verzichten wollen: «Die Stimmpflicht ist einmalig, sie gehört zu Schaffhausen.» Ein paar Schritte weg vom Regierungsgebäude stehen die bunten Stände des Schaffhauser Wochenmarktes. Unter den Besucherinnen und Besuchern finden sich befürwortende und kritische Stimmen zur Stimmpflicht. «Es sollte freiwillig sein», betont eine 42-jährige Betreuungsfachfrau. Sie würde auch so zur Urne gehen. Viele machten nur mit, weil Schaffhausen ist ein ausgeprägter Grenzkanton. 152 Kilometer seiner Grenze teilt er mit Deutschland und lediglich 33 Kilometer mit seinen beiden Nachbarkantonen Zürich und Thurgau. Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Die fleissigsten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 14 Reportage

anderen Seite belegt Schaffhausen gemäss den Forschenden auch dann noch den Spitzenplatz bei der Beteiligung, wenn man die paar Prozent Leerstimmen abzieht. In anderen Kantonen und auf Bundesebene gab es verschiedentlich Vorstösse, das Modell der Schaffhauser Vorzeigedemokratinnen und -demokraten zu kopieren. Denn die Klage darüber, dass sich in der Schweiz durchschnittlich nicht einmal die Hälfte des Elektorats an die Urne bemüht, ist immer wieder zu hören. Was das Bussgeld sie reue, ohne echtes Interesse. Anderen, die abstimmen möchten, sei dies verwehrt, so auch Menschen mit einer geistigen Behinderung. «Ich finde die Stimmpflicht nicht schlecht», meint dagegen ein 84-jähriger ehemaliger Bahnangestellter. So könne sich hinterher niemand über das Resultat beschweren. Vorbild Schaffhausen Was steckt denn nun hinter dem Schaffhauser Stimmwunder: wahres Engagement oder der leichte Druck von oben? Experten-Einschätzungen zufolge ist es beides. Die Politologin Eveline Schwegler und der Politologe Thomas Milic fanden auf der einen Seite heraus, dass der Anteil eingelegter Leerstimmen – weder Ja noch Nein angekreuzt – in Schaffhausen höher ist als in anderen Kantonen. Das deute auf nüchterne Nutzenabwägung hin. Einige stimmen ab, um der Busse zu entgehen. Und sparen sich dabei den Aufwand, sich über die Vorlagen zu informieren. Auf der Imposantes Naturschauspiel, mächtige Wassermassen: Der Rheinfall, ein Denkmal von nationaler Bedeutung, prägt Schaffhausen. Foto Keystone Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 15

für ein Gegensatz zu den Traumquoten im frühen 20. Jahrhundert, als 80 Prozent bei den Nationalratswahlen ihre Stimme abgaben. Einer der Gründe für die gesunkene Stimm- und Wahlbeteiligung ist, dass die Bindung an die Parteien abgenommen hat. Das schwäche deren Mobilisierungskraft, sagt der Politikwissenschaftler Daniel Kübler vom Zentrum für Demokratie Aarau. Stimmabstinenz als Problem? Zum Problem würde die tiefe Beteiligung, wenn die Ergebnisse nicht respektiert würden. «Doch die Resultate werden in der Schweiz gut akzeptiert, unabhängig davon, wie knapp sie ausfallen oder wie tief die Beteiligung war», weiss der Demokratieforscher. Bei den Wahlen kommt dazu, dass sie wegen des Schweizer Politiksystems weniger grossen Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierung haben als in anderen Ländern. Auch dies erkläre die vergleichsweise tiefe Beteiligung, sagt Kübler. Wer nicht wähle, könne sich immer noch mehrmals jährlich an der Urne zu Sachfragen äussern. Und da schiesst die Stimmbeteiligung auch mal locker landesweit in die Höhe, wenn eine Vorlage als wichtig empfunden wird. Rekordhalterin der letzten Jahrzehnte ist mit 79 Prozent die Abstimmung von 1992 über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum. Grundsätzlich ist eine möglichst hohe Stimm- und Wahlbeteiligung in einer Demokratie für den Politologen wünschenswert. Die Schaffhauser Stimmpflicht zeige Wirkung, habe aber Grenzen. Der wichtigste Faktor, der die Beteiligung nachweislich beeinflusst, ist laut Kübler das politische Interesse. Umso bedeutender sei die politische Bildung in der Schule: «Da ist die Schweiz im Vergleich zu den umliegenden Demokratien sehr stiefmütterlich unterwegs.» Als der Zug Schaffhausen wieder verlässt, fällt unser Blick nochmals auf den Rheinfall. Gischt sprüht auf. Fast so erfrischend wie die stimmbürgerliche Vitalität im Randkanton. Ungleich tiefer als im Kanton Schaffhausen ist die Stimmbeteiligung der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Eine Analyse des Abstimmungsverhaltens der Fünften Schweiz finden Sie auf Seite 22. Christian Ritzmann ist mitverantwortlich für die Durchführung der Urnengänge. Er sagt: «Abzustimmen und zu wählen ist in Schaffhausen tief verwurzelt.» Foto SWE Für SVP-Ständerat Hannes Germann steckt vorab politisches Bewusstsein hinter der regen Schaffhauser Stimmbeteiligung. Dieses habe historische Gründe. Foto ZVG SP-Politiker Simon Stocker erachtet die Stimmpflicht als Privileg: «Sie ist einmalig, sie gehört zu Schaffhausen.» Foto ZVG Die pittoreske Schaffhauser Altstadt steht auch für die Kleinräumigkeit des Kantons. Sie schafft Nähe zwischen der Bevölkerung und den Politikerinnen und Politikern: Man trifft sich. Foto Keystone Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 16 Reportage

Emma, Emma & Emma 11 637 Wenn Eltern in ein paar Jahren auf dem Spielplatz nach Emma rufen, werden viele Emmas reagieren: Emma war 2022 erneut der häufigste Vorname für Neugeborene. Die Zahl der Emmas kletterte auf 39937. Bei den Namen für Buben führt Noah die Rangliste an. Allerdings zeigen die 82 371 Geburten des letzten Jahres vor allem eines: Die Vielfalt an Vornamen ist in der Schweiz immens. Quelle: Bundesamt für Statistik 5299 Wer heuer in den Alpen etwas Abkühlung suchte, musste merken: Die Nullgradgrenze lag oft weit über den höchsten Gipfeln – am 20. August auf 5299 Meter über Meer, so hoch wie seit Beginn der Aufzeichnung von Wetterdaten noch nie. Quelle: MeteoSchweiz 61 Mitten in die Hitze platzten die Ergebnisse einer grossen Meinungsumfrage zur Befindlichkeit der Schweizerinnen und Schweizer im Wahljahr. Befragt wurden 57000 Personen. Das grobe Bild: Die Mehrheit ist grundsätzlich zufrieden. 61 von 100 Befragten sagten, es gehe ihnen gut. Quelle: gfs Bern 69 Was aber erachten die mehrheitlich zufriedenen Menschen in der Schweiz als Problem? Für 69 Prozent der Befragten ist der Klimawandel das grosse Thema. Anderes, was im Wahlkampf angeblich heiss diskutiert wird, lässt viele kalt: «Woke» und «Gender» gelten als Pseudothemen. Auch Zuwanderung, Neutralität und Gleichberechtigung beschäftigt die meisten nur mässig. 622 Die Schweiz ist punkto Volksabstimmungen Weltmeisterin. Seit dem Jahr 1900 konnte das Volk über 622 Vorlagen entscheiden. Zählt man all die kantonalen Abstimmungen dazu, liegt die Zahl gut zehnmal höher. Auf die Schweiz folgen übrigens Neuseeland (117 Referenden), Liechtenstein (115) und – hätten Sie es gewusst? – der Commonwealth der Nördlichen Marianen im Pazifischen Ozean (110). 1 Letzte Erkenntnis aus der Umfrage. Die grosse Mehrheit aller Befragten lässt einen Monat oder mehr verstreichen, bis sie ihre Bettwäsche wechselt. Was das übers Glück der Nation sagt, bleibt unklar. ZAHLENRECHERCHE: MARC LETTAU Die «Schweizer Revue», die Zeitschrift für die Auslandschweizer:innen, erscheint im 48. Jahrgang sechsmal jährlich in deutscher, französischer, englischer und spanischer Sprache. Sie erscheint in 13 regionalen Ausgaben und einer Gesamtauflage von rund 431 000 Exemplaren (davon 253 000 elektronische Exemplare). Regionalnachrichten erscheinen in der «Schweizer Revue» viermal im Jahr. Die Auftraggeber:innen von Inseraten und Werbebeilagen tragen die volle Verantwortung für deren Inhalte. Diese entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder der Herausgeberin. Alle bei einer Schweizer Vertretung angemeldeten Auslandschweizer:innen erhalten die Zeitschrift gratis. Nichtauslandschweizer:innen können sie für eine jährliche Gebühr abonnieren (CH: CHF 30.–/Ausland: CHF 50.–). ONLINE-AUSGABE www.revue.ch REDAKTION Marc Lettau, Chefredaktor (MUL) Stéphane Herzog (SH) Theodora Peter (TP) Susanne Wenger (SWE) Paolo Bezzola (PB; Vertretung EDA) AMTLICHE MITTEILUNGEN DES EDA Die redaktionelle Verantwortung für die Rubrik «Aus dem Bundeshaus» trägt die Konsularische Direktion, Abteilung Innovation und Partnerschaften, Effingerstrasse 27, 3003 Bern, Schweiz. kdip@eda.admin.ch | www.eda.admin.eda REDAKTIONSASSISTENZ Nema Bliggenstorfer (NB) ÜBERSETZUNG SwissGlobal Language Services AG, Baden GESTALTUNG Joseph Haas, Zürich DRUCK & PRODUKTION Vogt-Schild Druck AG, Derendingen HERAUSGEBERIN Herausgeberin der «Schweizer Revue» ist die Auslandschweizer-Organisation (ASO). Sitz der Herausgeberin, der Redaktion und der Inseraten-Administration: Auslandschweizer-Organisation, Alpenstrasse 26, 3006 Bern, Schweiz. revue@swisscommunity.org Telefon +41 31 356 61 10 Bankverbindung: CH97 0079 0016 1294 4609 8 / KBBECH22 REDAKTIONSSCHLUSS DIESER AUSGABE 5. September 2023 ADRESSÄNDERUNGEN Änderungen in der Zustellung teilen Sie bitte direkt Ihrer Botschaft oder Ihrem Konsulat mit. Die Redaktion hat keinen Zugriff auf Ihre Adressdaten. Schweizer Revue / Oktober 2023 / Nr.5 17 Schweizer Zahlen Impressum

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